Herr Don

Herr Don trat in das Wartezimmer ein. Es überraschte ihn etwas, dass er von dem Vorzimmer aus, wo er seinen Überrock gelassen hatte, nicht direkt weiterkam, durch eine große Glastür. Er musste durch eine andere, scheinbar unwichtige Nebentür gehen.

"Nein, nein! Dahin nicht!", sagte ein wenig beängstigt das Mädchen, das ihm die Tür öffnete und wartete, bis er den Überrock abgelegt hatte. Er warf ihr ein verlegenes Lächeln zu und öffnete die Tür.

Im Wartezimmer saß ein Herr in eleganter tadelloser Kleidung. Er kreuzte seine Beine übereinander und seine Strümpfe wurden sichtbar. Ihre Farbe harmonisierte ausgezeichnet mit der Farbe seines Anzuges. Er hatte die Ellbogen auf den Arm eines alten Sessels gelegt und stützte sein Gesicht auf den Fingerspitzen. Murmelnd begrüßten sie einander. Herr Don fühlte sich unbehaglich, als er die vollendete Kleidung des Fremden sah. Er selbst, spät erwacht, hatte kaum Zeit sich zu baden. Aus der gut gepflegten Haut des Herrn strahlte schon von weitem das Morgenbad.

Herr Don setzte sich in den Sessel, der auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches stand und jenem vollkommen glich, in dem der Unbekannte saß. Er wurde etwas ungehalten, als er bemerkte, auf den Lehnen des Sessels befanden sich samtene Polster, von denen Fransen herabhingen. Da muss er aufpassen: Er darf beim Warten nicht selbstvergessen die Fransen zusammendrehen. Er meinte, es sei eine unschickliche Angewohnheit. Sich hinsetzend, ahmte er ungewollt die Haltung des Fremden nach. Als er es bemerkte, hüstelte er verlegen, beugte sich schnell nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Knie.

In dem leeren Wartezimmer herrschte eine entsetzliche Hitze. Eine Hitze mit Ölfarbengeruch, die im allgemeinen die Zentralheizungen begleitet. Er sah sehnsüchtig zum Fenster hin. Auf dem Fensterrahmen entdeckte er einen Griff, mit dem man das Oberfenster öffnen kann. Er überlegte kurz und dann ging er zum Fenster hin. Als seine Hand schon den Griff berührte, sprang der Fremde plötzlich auf:

"Ist verboten!", schrie er mit unerwartetem Schwung. Er eilte auf Herrn Don zu, als wollte er ihn angreifen.

"Wie Sie wollen", sagte Herr Don etwas erstaunt und setzte sich wieder auf seinen Platz.

Auch der Fremde wandte sich um, setzte sich jedoch nicht, sondern spazierte mit knarrenden Schuhen weiter durch das Zimmer. Nervös fing er an zu rauchen und hielt kurz vor Herrn Don an:

"Sie sind das erste Mal hier. Nicht wahr?"

"Ja", sagte Herr Don mit wachsender Verwunderung.

"Nun mein Herr, hier ist es verboten zu lüften", sagte der elegante Herr und spazierte weiter. Plötzlich fing er an nervös zu lachen: "Hier ist es verboten! Jawohl, hier", wiederholte er. Das Wort hier sprach er so eindringlich, als bedeutete es Außergewöhnliches.

"Ja", sagte Herr Don verlegen, "ja, aber die Hitze..."

"Gewiss", antwortete der Fremde, er setzte sich wieder auf seinen Platz und drückte die eben erst angebrannte Zigarrette im Aschenbecher aus. Er saß so da wie vorher, in Nachdenken versunken, kreiste aber jetzt mit den Füßen, als wollte er mit seinen zartfarbenen Strümpfen prahlen.

Herr Don wurde auf ein unbestimmtes leises Geräusch aufmerksam.

Er hatte es auch schon früher gehört, aber da drang das Geräusch nicht bis in sein Gehirn vor, dieses leise subtile Klingeln aus der Richtung der Heizung. Vielleicht setzte das leise Geräusch nur ein fernes Hämmern fort, das durch die Heizungsrohre bis hierher gelangte, feiner wurde und sich dann bis zu einem zarten silberhellen Glöckchenklingeln läuterte. Herr Don zerbrach sich den Kopf. Mit was für einem Instrument kann man solch einen Klang erzeugen? Es wäre notwendig den fremden Herrn zu fragen.

Eine entsetzliche Hitze.

Was würde er antworten? In Gedanken begann er über die Bestürzung des fremden Herrn zu lachen. Was für ein Instrument kann es sein? Das Becken einer Trommel? Eine metallene Klingel? Eine Metallklingel? Lächerlich. Etwas Derartiges gibt es sicherlich nicht.

Er bemerkte geniert, wie er im Klingelrhythmus eine improvisierte Melodie durch die Zähne pfiff. Er krächzte nervös und beugte sich nach hinten in den Sessel. Er bemerkte, der fremde Herr beobachtete ihn. Mit völlig gleichgültiger Miene, mit der man gewöhnlich beim Warten die Dinge und Personen eines Wandgemäldes betrachtet - und dennoch beobachtete ihn der Herr. Dieses Gefühl quälte ihn. Herr Don fing an den Fremden zu hassen. Er hätte nicht sagen können warum, vielleicht wegen seiner vor Kurzem an den Tag gelegten aggressiven Haltung? Oder vielleicht deshalb, weil der Fremde besser wusste als er, wie man sich hier während des Wartens benehmen muss? Vielleicht wegen der knarrenden Schuhe? Er rückte seine Krawatte zurecht und schloss die Augen. In diesem Zustand schien es ihm, als sähe der Fremde ihn nicht einmal an. Er schwitzte. Mit verschlossenen Augen nahm er irgendein längliches Behältnis wahr. Eine Tube, in der man Zahnpasta verkauft. Aber diese Tube hatte kein Markenzeichen. Eine graue mittelgroße Tube. Was enthält sie? Es wäre notwendig den fremden Herrn zu fragen. Ja, was ist in der Tube? Und sollte er auch nach dem Becken fragen?

Don beugte den Kopf nach hinten an das obere Polster des Sessels und legte seine Hände der Länge nach auf die Armlehnen. Seine Finger berührten die polierten ungepolsterten Teile. Er dachte zufrieden, noch habe ich nicht an den Fransen herumgedreht.

Was für eine tiefe Stille! Gewiss wegen des Klingelns. Als ob die Stadt tot wäre.

Mit den Zeigefingern begann er die Konturen der Tube in vielen sich einschließenden Linien auf die Sessellehnen zu malen. Der Herr wird jetzt bestimmt die Hände betrachten. Ob man erahnen kann, was er malt?

Nachdem er sich hinter seinen verschlossenen Augen verborgen hatte, blickte er zufrieden. Plötzlich fing er an die Tuben so zu malen, als hätten sie einen Mund, sowohl unten als auch oben. So wird der Fremde nicht ahnen können, was die Zeichnung darstellt, dachte er zufrieden. Seltsame Tuben. Auf beiden Seiten kann man sie öffnen.

Was für eine tiefe Stille! Sicherlich ist die Stadt gestorben. Er musste auf den Korridor hinausgehen und lauschen. Aber hier, dachte er, ist auch das verboten. Der Fremde gab auf ihn acht. Und auch das Mädchen, das ihm die Tür geöffnet hatte. Möglicherweise ist die Tür verschlossen. Ist es wirklich so? Er ist mit einem Fremden zusammengeschlossen worden. Es wäre notwendig es zu erforschen. Blitzartig erinnerte er sich, er hatte draußen keinen Schlüssel gesehen. Ob die Stadt gestorben ist?

Mit einem Finger zeichnete er zweimündige Tuben, mit dem anderen runde Becken. Was für eine Irreführung des Fremden, falls er ihn beobachten sollte! Wo muss man diese Tube drücken, damit etwas aus ihr herauskomme? Und was kommt heraus, wenn man sie drückt? Und durch welche Öffnung? Es wäre notwendig zu fragen. Und die Stadt, warum ist sie so still?

Eine entsetzliche Hitze.

Plötzlich öffnete er die Augen. Unter dem Fenster bemerkte er eine Kiste. Irgendeine Kiste aus ungehobelten dünnen Brettern mit rundherum genagelten schmalen Metallstreifen. Es ist offenbar, man entsiegelte sie bisher nicht. Oben hat sie ein Etikett mit einer Adresse oder ähnlichem. Sicherlich kam sie per Post oder mit dem Zug. Warum entsiegelte man sie nicht? Es wäre notwendig zu fragen. Was enthält sie? Tuben? Oder Becken? Wenn sie Becken enthält, sind sie bestimmt in Holzspäne verpackt. Und dennoch sind die Becken nicht zerbrechlich. Vielleicht darum, damit sie unterwegs keine Töne von sich geben. Es wäre notwendig zu fragen. Herr Don fing an sich darüber zu beunruhigen, ob er in der Stille des Wartens nicht doch noch eine ungewollte Frage stellen könnte.

Wieder schloss er die Augen. Ob die Stadt gestorben ist? Es ist nicht sicher. So lange man das Klingeln hört, ist es ungewiss, ob die Stadt gestorben ist.

Was enthält die Tube? Herr Don betrachtete den Fremden. Dieser kreiste mit dem Fuß, auch jetzt noch, doch er beobachtete ihn nicht weiter. Stattdessen betrachtete er seine Knie und mit den Fingern drehte er die Fransen zusammen, die von den Sesselarmen herunterhingen. Es ist schwer für Herrn Don ein triumphierendes überschäumendes Lachen zurückzuhalten. Noch ehe er darüber hätte nachdenken können, was er tut, schlüpfte die Frage aus ihm heraus:

"Hm. Werden Sie als Erster hineingehen?"

Der Herr wiegte ein wenig beängstigt den Kopf, stand auf und marschierte mit knarrenden Schuhen nervös hin und her.

"Nun, wenn man die Sache ordnungsgemäß betrachtet", sagte er und begann wieder nervös zu rauchen. Ob er diesmal bis zu Ende rauchen wird? "Wenn auch... möglicherweise...", sagte der Herr und furchte fragend die Stirn.

"Nein, nein!", sagte Herr Don sich entschuldigend, "ich fragte nur. Es ist eine entsetzliche Hitze hier. "Wie denken Sie darüber?" Und plötzlich fand Herr Don den eleganten Herrn sympathisch.

Der Fremde zögerte scheinbar einige Zeit, was er antworten solle. Dann sagte er: "Naja, wenn man es so betrachtet..." Er sah sich den Teppich unter den Füßen an, den langen, abgenutzten, grünlichen Teppich in der Länge des Zimmers. Ein längliches langweiliges Zimmer, sechs Meter lang und drei Meter breit.

Der Fremde stand nun ebenfalls da, wo er zuvor über die Hitze gesprochen hatte. Herr Don fing an sich überlegen zu fühlen. Wieder schloss er die Augen.

Ob vielleicht die Stadt gestorben ist und man spielt eine Trauermusik auf Becken?

Die Tube hatte bereits keinen Korken mehr. Don musste entsetzt die Augen öffnen. Der Fremde näherte sich ihm schnell. Sein Herankommen erwies sich als beängstigend, weil seine Schuhe nicht knarrten. Er schleicht sich an, dachte Herr Don. Neben dem kleinen Tisch, zwischen den beiden Sesseln, blieb der Fremde stehen und streifte die Asche von seiner Zigarrette ab.

Er hat sich angeschlichen, dachte Herr Don. Hätte ich nicht die Augen geöffnet, würde er mich töten. Wegen der Becken? Nein. Bestimmt wegen der Kiste, die unter dem Fenster vor der Heizung steht.

"Was enthält die Kiste?", platzte die neue Frage aus ihm heraus.

"Grabsteinteile", antwortete der Fremde mit einer unerwarteten Festigkeit, die Herrn Don überraschte.

"Warum denken Sie das?"

"In meiner Kindheit", sagte der Herr, "stand im dunklen Teil unseres Hofes eine kleine Hütte. So eine Art Abstellkammer für wertlosen Plunder. In ihr stand ein schäbiges Motorrad, das man mit einer öligen Zeltplane bedeckt hatte und vor dem Motorrad standen einige Kisten, die dieser hier glichen. Alle enthielten sie Grabsteinteile. Na, darum denke ich es, obzwarl hier kein Motorrad vorhanden ist."

"Es ist wirklich kein Motorrad hier", antwortete Herr Don tagträumerisch, doch sofort bereute er es. Der Herr betrachtete ihn argwöhnisch.

Es wäre notwendig zu fragen, was für einen Beruf er hat. Friseur? Vorher, als der Herr in der Mitte des Zimmers stand und den Teppich unter den Fußsohlen betrachtete, sah er etwas unterwürfig aus. Jedoch jetzt, wo er sich wie ein Turm über ihn erhebt, wirkt er ausgesprochen feindlich. Falls er Friseur ist, dann weiß er bestimmt, was die Tube enthält, dachte Herr Don und umkrampfte die Sessellehne.

Warum setzt sich der Unbekannte nicht?

An den Wänden hängt nicht ein Bild. Obzwar er wegen des Fremden, der vor ihm steht, nicht die ganze Wand sehen kann. Doch hinter dem eleganten Herrn ist bestimmt kein Bild. Er hätte sich daran erinnert, wenn eins dort wäre, dachte Herr Don. Er würde sich daran erinnern wie an das Klingeln oder an den Schlüssel. Man erinnert sich an alles, jedoch nicht immer werden die Erinnerungen wieder lebendig.

Der elegante Herr wandte sich langsam um und näherte sich dem Fenster. Ihm den Rücken zudrehend, richtete er seine Aufmerksamkeit nach außen. Na sieh einer an, ich könnte ihn umbringen, dachte Herr Don. Plötzlich angreifen und mit irgendeinem schweren Gegenstand...

Herr Don schaute sich um. Nicht ein einziger schwerer Gegenstand. Die Sessel waren zu groß. Der kleine Tisch schien zu leicht zu sein. Vielleicht mit der Kiste! Aber der Fremde stand genau vor ihr. Man müßte ihn vom Fenster weglocken. Wie wäre es möglich ihn wegzulocken? Herr Don zerbrach sich fieberhaft den Kopf. Wie wäre es möglich ihn wegzulocken? Er richtete die Augen auf den Rücken des Fremden. Er muss den Herrn hypnotisieren.

Eine entsetzliche Hitze. Und dieser Herr steht ausgerechnet neben der Heizung. Neben der Heizung und der Kiste.

So geht es nicht. Seine Gedanken liefen nutzlos auseinander. So kann man ihn nicht hypnotisieren. Er muss sich konzentrieren.

Du musst hierher kommen! Du musst hierher kommen! Du musst...

Die Heizung ist vor seinen Füßen und auch die Kiste ist vor seinen Füßen. Die Heizung wärmt die Kiste. Hat man sie vielleicht gerade wegen der Wärme dorthin gestellt? Man will sie nicht kalt entsiegeln.

Ob die Hitze nicht den Grabstein beschädigt?

Herr Don fühlte die immense Anstrengung, die die Haut auf seiner Stirn anspannte.

Du musst hierher kommen! Du musst hierher kommen!

Das Klingeln ist jetzt sicherlich behilflich. Das monotone Geräusch ermüdet das Medium.

Eine entsetzliche Hitze. Auch das hilft.

Du musst hierher kommen! Du musst... Erfolglos! Herr Don entspannte sich und schloss erneut die Augen. Der untere Teil der Tube war ein wenig gefurcht, als hätte man sie leicht zusammengepresst. Als wäre das Äußere angeschwollen. Sieh einer an, vielleicht wird er erfahren, was sie enthält! Jetzt wird bestimmt etwas aus ihr herauskommen. Was enthält die Tube? Ja, er müßte sie drücken. Vielleicht wird dann etwas herauskommen. Vielleicht schleicht der Fremde unterdessen heran. Doch das ist nicht wichtig. Jetzt muss er warten, bis etwas aus der Tube herauskommen wird. Er muss sie drücken. Herr Don konzentrierte sich nun mit ganzer Kraft auf die Tube. In seinen Gedanken presste er sie angestrengt. Es ist, als furchteten sie sich immer mehr. Und auch die Anspannung wächst. Jetzt muss er warten. Er hat noch Zeit. Der Fremde kann sich nur langsam nähern. Keinerlei Geräusch außer dem Klingeln. Die Furchung auf der Tube scheint weiter zu wachsen. Aber noch kommt nichts heraus. Ob die Stadt gestorben ist? Ein entsetzliches Schweigen. Es ist nicht möglich die Stadt zu belauschen. Hier ist es verboten. Jawohl, HIER.

Irgendwann muss der Fremde hierher kommen, weil seine Zigarrettenasche anwächst. Falls die Schuhe knarren sollten, besteht überhaupt keine Gefahr. Wenn er in feindlicher Absicht kommt, wird er sich anschleichen.

Aus der Tube kommt noch nichts heraus.

Warum ist es notwendig, den Grabstein zu erwärmen?

Wenn er an der Tube mit der Hand nachhelfen könnte, wenigstens ein bisschen, dann käme sicherlich etwas heraus. Aber er kann die Finger nicht hinter die geschlossenen Augenlider bringen. Er drückte die Tube mit der ganzen Kraft seiner Gedanken. Da, die Zeit ist herangekommen. Jetzt wird er auf jeden Fall erfahren, was in der Tube ist. Das Klingeln reißt nicht ab. Keine Gefahr. Auch der Fremde kann nicht in der Nähe sein. Die Tube zittert von der gewaltigen Anspannung. Ihr Äußeres dehnt sich bis zum Bersten.

Ob die Stadt gestorben ist? Das Klingelgeräusch endet plötzlich.

Da - das Zeichen, dachte Herr Don und sah noch, mit seinen sich verdunkelnden Augen, wie die Tube durch die ungeheure Anspannung zerplatzte.

Es waren die letzten Minuten des Herrn Don.