Tata Ben

     Diese schaurige, beklemmende Nacht. Und dazu rieb mir noch die riesige Taschenlampe, die mir Tata Ben gab, den Oberschenkel wund. Ich steckte sie nun in die Hosentasche. Doch auch aus ihr ragte sie noch zur Hälfte hervor.
    "Warum ist so eine große Keule nötig?", hatte ich den Alten gefragt.
    "Das ist das Zweckmäßigste, mein Jüngelchen!", sagte Tata Ben. "Sie gibt nämlich Licht. Viel Licht, wie ein Scheinwerfer. Das hat psychologische Wirkung. Von solchen Sachen habt Ihr Grünschnäbel keine Ahnung. Ja, ja, mein Jüngelchen. Die psychologische Wirkung."
    Ich diskutierte nicht erst lange. Kostenlos hatte er mir die ganze Ausrüstung für die heutige Nacht übergeben, warum sollte ich mich da wegen der blöden Taschenlampe streiten?
    Jetzt ist es 23.05 Uhr. Der Kerl müsste bald kommen, wenn Tata Ben die Wahrheit gesagt hat.
    Unterwegs auf dem Schiff, auf dem ich anheuerte, habe ich nicht gedacht, dass ich gleich nach meiner Ankunft an Land so einen widerwärtigen Job vor mir haben werde. Doch was soll ich machen? Es bleibt mir nichts anderes übrig. Wiewohl mir die Sache, bei Gott, nicht gefällt, ja, überhaupt nicht gefällt. Als mein Dienst auf dem Schiff zu Ende ging und der Boss die Abrechnung mit mir machte, hatte ich keine Reichtümer aufgehäuft. Übrigens hatte ich auf dieser rostigen Kiste nur darum angeheuert, weil ich in diese Stadt zurückkehren wollte. Unverzüglich versiebte ich die ganze Heuer, noch in der gleichen Nacht, in der ich an Land ging. Ich hatte das Glück bei einem Kameraden auf dem Lastkahn eine Koje zu finden. Sonst hätte ich im Park schlafen müssen.
    Am nächsten Morgen brummte mir der Schädel. Der Magen drehte sich mir um, von dem vielen Bier, welches ich in mich hineingeschüttet hatte. Müde fing ich an, mir Gesellschaft zu suchen. Ich dachte, dass vielleicht jemand von den Kameraden eine Arbeit für mich wüßte... Doch es ergab sich nichts, wie üblich, obgleich ich den glatzköpfigen Drake schon von weitem erblickte, er mag mich. Doch es ist besser, nichts mit ihm anzufangen. Wie ich hörte, dealt er zur Zeit und das ist nicht ungefährlich. Wenn ich nun schon einmal wieder in der Stadt bin, dann will ich hier keinem die Zeit stehlen, nicht den Staatsgast spielen, der nur Kosten verursacht.
    Ich zog es vor einen Besuch bei Tata Ben zu machen. Vielleicht kann er mir irgendeinen Job geben. Na, es ist wahr. Auch um ihn kreisen Gerüchte, er treibe wieder das Gleiche wie früher. Man sagt, er mische sich in politische Angelegenheiten ein. Doch was tun? Ich dachte: ich versuche es mit ihm.
    Als ich in seinen Laden hineinging, lärmten und drängten sich drinnen viele Käufer. Nur mit einem Blick bedeutete er mir, mich an die Seite zu stellen. Und als er einen Moment Zeit für mich hatte, führte er mich in einen heruntergekommenen Raum hinter dem Laden, den er gern 'Büro' nannte. Er gab mir einen übelriechenden Schnaps. "Setz dich, mein Jüngelchen!", sagte er, "du siehst, ich habe eine Menge Arbeit. Warte eine Sekunde, bis ich mehr Zeit für dich habe. Ich komme bald. Kein Geld! Wie?", fragte er geschäftig. Doch ohne die Antwort abzuwarten, eilte er davon. Ich versuchte mich ein wenig an dem Getränk.
    Endlich kam er zurück. "Na, du sitzt in der Tinte, wie? Du kommst wohl nur zu Tata Ben, wenn du in der Tinte sitzt, was? Doch sieh wie bin ich! Ich habe etwas für dich gefunden. Und er goss von dem Schnaps auch in sein Glas. "Nun, aufrichtig gesagt, ich bräuchte dich. Ich bräuchte dich just heute Nacht. Du bist der ideale Bursche für diesen Job. Doch erzähle. Bist du aus der Ferne gekommen? Was für ein schönes schwarzes Hemd du trägst! So ein wunderschönes Hemd kann man bei uns nicht kaufen! Genau das wird heute Nacht nützlich sein. Aber ich habe dich lange Zeit nicht gesehen. Warst du verhindert? Macht nichts. Das passiert ab und zu. Scheint, du bist heute etwas wortfaul."
    Später erzählten sie mir, was ich heute Nacht machen soll. In dem großen Kaufhaus arbeitet ein spanischer Juwelier. Er ist sehr groß, hat langes schwarzes Haar und einen Ziegenbart. Weil er keinen Tresor besitzt, nimmt er jeden Abend die wertvolleren Sachen mit nach Hause. Jeden Abend geht er um elf aus dem Basar los, und ab viertel vor elf muss ich auf ihn in der dunklen Allee warten, wo mich niemand sehen wird, wegen meines schwarzen Hemdes und der schwarzen Hose. Ich werde ihm einen hübschen kleinen Fausthieb verpassen, keinen großen; nur so einen, dass er für zehn Minuten ein Nickerchen macht. Ich muß vorsichtig sein, weil er alt ist und nicht ganz gesund. Zehn Minuten reichen mir völlig aus, um zu verschwinden. Ich werde in einen winzigen Garten laufen, der nicht weit von der Allee gelegen ist. In dem Gärtchen befindet sich eine Sandkiste mit einem verschließbaren Deckel. Ich werde das Köfferchen hineinwerfen und auch die Taschenlampe, damit nichts Verdächtiges an mir bleibt. Bald wird dann ein anderer Kerl Tata Bens kommen, der das Köfferchen wegbringt. Meine Aufgabe wird es außerdem sein, die weiße Matrosenjacke anzuziehen, die Tata Ben mir noch gibt. Danach soll ich auf der Bowiestreet entlanggehen: nicht weit entfernt ist eine Polizeidienststelle; und den Polizisten, der davor steht, soll ich fragen, wie spät es ist. Außerdem kann mich der alte Spanier nicht sehen, weil ich den Lichtkegel auf seine Augen richten werde. Einige Minuten nach der ganzen Sache, umgezogen, habe ich dann ein Alibi, von einem Polizisten bezeugt. Der Alte wird nicht so mutig sein etwas zu unternehmen, weil es genug dunkle Punkte in seinem Geschäft gibt.
    "Na, was sagst du?", fragte Tata Ben.
    Ich sagte aufrichtig zu ihm: "Die Sache gefällt mir nicht. Einen von uns gewissermaßen...ist nicht ehrlich. Ich bin nicht abergläubisch, doch ich habe kein gutes Gefühl dabei. Solche Sachen ziehen immer irgendwie Rache nach sich."
    "Nun, ob es dir gefällt oder ob es dir nicht gefällt", sagte Tata Ben, "das habe ich für dich. Wenn es dir nicht gefällt, dann lasse es sein. Aber ich sage dir, die Sache lohnt die Mühe. Denn übermorgen wirst du hier in den Laden kommen und dann kriegst du, na, sagen wir... Wie viel wirst du kriegen? Du wirst hundertfünfzig kriegen für einen Job, der in zehn Minuten erledigt ist. Überlege es dir, mein Jüngelchen! Hundertfünfzig, und jetzt bekommst du zwanzig als Vorauszahlung. Was sagst du?"
    Was sollte ich sagen, ich hatte ja nicht einen Cent mehr.
    "Doch passe auf, mein Jüngelchen!", fügte Tata Ben hinzu. "Verknüpfe auf keinen Fall irgendwelche Träumereien mit dem Köfferchen. Ich hoffe, du weißt, ohne Tata Ben ist er noch weniger wert als einen Cent. Du weißt nicht, was das Köfferchen enthält, ich aber weiß es. Und ich weiß auch, dass du den Inhalt nirgendwo nutzbar machen könntest. Verstanden? Ach ja, soeben ist mir in den Sinn gekommen, dass du irgendeine Waffe haben könntest."
    "Ja, ein Messer habe ich."
    "Na, gib es mir, mein Lieber. Sei so gut."
    "Aber warum? Mein lieber Tata Ben, habe keine Angst. Ich werde den Juwelier nicht verletzen."
    "Nein, mein Jüngelchen. Wer weiß, in welche Sachen du verwickelt wirst. Wenn jemand für mich arbeitet, ziehe ich es vor, wenn er nicht mit dem Messer herumfuchtelt. Gib es mir, mein Sohn."
    Was sollte ich machen? Ich übergab ihm das Messer ungern. Ich hatte es vor drei Jahren in Istanbul gekauft. Ein schönes Messer, dreißig Zentimeter lang. Es war teuer. Es gefiel mir wegen der scherzhaften Aufschrift: 'Gute Reise!'
    "Übermorgen, wenn du zu mir kommst, werde ich es dir zurückgeben", sagte Tata Ben.
    Danach öffnete er den Schrank. Er nahm eine wunderschöne, weiße Matrosenjacke heraus. Er faltete sie unerhört geschickt zusammen und legte sie so in eine Seitentasche, dass sie sich gleich auseinander falten würde, wenn man sie am Kragen herauszieht, um sie anzuziehen, blitzschnell.
    Jetzt ist es zehn nach elf und der Juwelier ist noch nicht zu sehen. Ich hoffe aber, er wird bald kommen. Kein Mensch weit und breit, wie Tata Ben es vorausgesagt hatte. Wenn nur die stickige Luft nicht wäre. Der Job gefällt mir nicht. Es ist etwas völlig anderes, wenn man sich mit einem Gleichaltrigen herumprügelt. Ich bin wirklich nicht sentimental, doch wenn ich mal einen Alten geschlagen habe, dann musste er schon sehr arrogant gewesen sein. Aber was sollte ich machen? Sich am Leben zu erhalten ist schwer.
    Na also! Der Spanier kommt. Soeben hat er eine Straßenlaterne erreicht, weshalb ich ihn gut sehe. Er ist groß, hat lange schwarze Haare und einen Ziegenbart. Er bringt das Köfferchen mit. Ich gehe einige Schritte nach vorn, um an eine dunklere Stelle zu gelangen. In dem schmalen Schatten spreche ich ihn an: "Verzeihung, mein Herr", ich richtete den Lichtkegel auf seine Augen. "Erlauben Sie? Das Köfferchen!"
    Seine Augen werde ich so lange ich lebe nicht vergessen! Alte Augen. Eine plötzliche Furcht lag in ihnen, doch auch so ein schauriger urtümlicher Fluch, der sich vielleicht nicht einmal in Worten ausdrücken lässt. Der Blick, mit dem der Alte in das Lampenlicht starrte, versetzte sogar mich in Schrecken.
    "Schnell doch, das Köfferchen!", sagte ich, Entschlossenheit vortäuschend; denn wenn ich mit einem erschrockenen Menschen zusammen bin, dann mag ich es nicht, dass er das gleiche Gefühl auch in mir wachruft.
    Ich nahm das Köfferchen weg, schaltete die Lampe aus und schlug ihm dann vorsichtig in den Nacken. Der Schlag hatte kaum Gewicht und doch sackte er wie ein nasser Sack zusammen. Ich fasste ihn am Hals, verhinderte, dass er zu Boden fiel, stützte ihn ein wenig ab, damit er sich nicht zu sehr verletzt. Mein Gott! Seine Augen werde ich niemals vergessen.
    Danach lief ich los in Richtung des Gärtchens. Ich warf das Köfferchen und die Taschenlampe in die Sandkiste. Schon leuchtete die weiße Matrosenjacke auf meinen Schultern und ich war im Begriff zur Polizeiwache zu gehen. Doch hol's der Teufel, die Sache lief nicht so glatt wie geplant. Auf der Straße, zwischen der Polizeidienststelle und mir, näherte sich eine Streife.
    Na, wenn die rauskriegen, dass ich meine Finger an der Kiste hatte, dann ist das Ding geplatzt. Es ist nun schon ganz gleich. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihnen entgegenzugehen. Beim Versuch in die entgegengesetzte Richtung davonzulaufen, würde ich noch viel mehr Verdacht erregen. Und sie würden mich verfolgen, ob sie nun etwas bemerkt hätten oder nicht. Als sie bei mir ankamen, richtete einer von ihnen die Lampe auf mich: "Wohin, wohin, schöner Matrose?", fragte er streng, doch so, dass ich gleich fühlte: sie haben nichts bemerkt.
    "Nirgendwohin. Die Straße entlang. Kennen Sie hier irgendeine Kneipe?"
    "Gehen Sie geradeaus weiter. Die Kneipen folgen eine nach der anderen."
    "Doch sehen Sie sich vor! Wir wollen Sie morgen früh auf keinen Fall mit einem Messer im Rücken auffinden!", sagte der andere. Ha, dass ich erst jetzt anfange zu begreifen! Die beiden kamen mir gerade recht. Ich kann doch auch sie nach der Zeit fragen. Ich brauche nicht zur Polizeiwache gehen und gewinne so mindestens zwei bis drei Minuten für mein Alibi. Ich fragte gleich. Ich stellte meine Uhr und wir verabschiedeten uns. Ich hatte aber nicht die geringste Lust in eine Kneipe zu gehen. Ich konnte den Blick des alten Spaniers nicht vergessen. Ich ging nach Hause, zum Kahn, legte mich hin, um zu schlafen.
    Am nächsten Morgen, um zehn, spazierte ich schon in der Stadt herum. Ein Zwanziger ist nicht gerade viel, doch bis zum Abend werde ich recht gut davon leben können. Morgen kriege ich den Rest und werde mir eine Arbeit suchen, die mir gefällt. Ich setzte mich auf die Terrasse einer eleganten Gaststätte. Ich entschied mich hier unter dem Sonnenschirm gut zu frühstücken und die Zeitungen durchzulesen. Vielleicht schreibt man etwas über den alten Juwelier. Doch unter den Polizeimitteilungen suchte ich vergebens. Ich las nur von einem Brand im Kaufhaus und etwas über einen Einbruchsdiebstahl in einem Laden, doch über den Spanier nicht ein einziges Wort. Ich konnte mir vorstellen, wie viele krumme Sachen er gedreht haben musste, wenn er es vorzog, über die Angelegenheit zu schweigen. Für mich ist es so das Beste. Ich bin nicht unbedingt scharf darauf, dass die Zeitungen sich mit meinen Angelegenheiten beschäftigen sollen. Ich blätterte weiter, bis mir auf einmal eine mit fetten Lettern gedruckte Titelzeile in die Augen sprang:
    "POLITISCHER MORD IN DER BOWIESTREET."
    Zum Teufel noch mal! Halt! Bowiestreet ist doch die Straße, auf der ich bei der Streife nach der richtigen Zeit gefragt habe. Sehen wir, was man schreibt. Und dann traten mir plötzlich die Schweißperlen auf die Stirn.
    Kurznachrichten: Gestern Abend, nach dreiundzwanzig Uhr, wurde der bolivianische Botschafter mit fünf Messerstichen ermordet. Neben der Leiche fand man die Tatwaffe, ein dreißig Zentimeter langes Messer mit folgender Aufschrift: 'Gute Reise!' Gefunden wurde weiterhin eine große Taschenlampe mit gut identifizierbaren Fingerabdrücken. Die Polizei hat mit der Untersuchung begonnen und bittet die Leser um Mithilfe bei der Suche nach einer Person, die eine weiße Matrosenjacke...
    Es folgte meine akkurate Personenbeschreibung.
    Oh, Tata Ben!
    Wenn ich ein Messer hätte! Mit oder ohne Aufschrift!
    Tata Ben!