Türen

     "Ist schon ausverkauft", sagte die Kellnerin, "bestell lieber einen Bureschano: der Preis ist der gleiche, aber er ist keineswegs schlechter als der andere."
    Sie hieß Resi: ein Weib mit strammen Beinen, ziemlich hässlich. Irgendwann besuchten sie zusammen die Schule.
    "Gut, dann hole also einen Schoppen von diesem", sagte der Mann. Er stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und beobachtete die zwei Türen auf der anderen Seite. Über der ersten war in Deutsch zu lesen: HERREN. Auf der anderen: DAMEN.
    Der Leiter der Zigeunerkapelle hob die Geige, zupfte an den Saiten herum, sah in die Runde, begann aber nicht zu spielen. Er legte das Instrument ab und setzte sich wieder hin, mit gelangweilter Miene.
    Resi eilte durch den Saal. Sie trug dampfende Würstchen auf einem Tablett.
    An den Nachbartisch kam eine rot gekleidete Frau in Begleitung zweier Herren und sagte: "'n Abend". Hat man so etwas schon einmal gehört? Nur einfach: 'n Abend.
    Ihre nächsten Worte waren unverständlich da sie die Stimme senkte. Doch was sie erzählte, war möglicherweise interessant, denn die beiden Kavaliere wiegten lebhaft die Köpfe hin und her, sich dabei über den Tisch beugend.
    Ich werde auf sie warten, dachte wieder der Mann. Ich werde sie mit nach Hause nehmen. Nun, natürlich nach Hause zu mir.
    Der Elektromotor hielt an und ließ einen klagenden Seufzer hören. Ein gewaltiges Eiseninstrument hing an einem dicken Metallkabel über dem Schlund des Schachtes. Es baumelte, kaum sichtbar, im Licht der Taschenlampen.
    "Weißt du, dass es gleich elf ist?", sagte der mit dem Lederhut zu dem anderen.
    "Was tun? Auf jeden Fall müssen wir diesen verdammten Dreckskram heraushieven."
    Sie spannten ihre Kräfte an und begannen, den Rollkran nach hinten zu schieben. Vereinzelte Regentropfen stachen sie wie Nadeln ins Gesicht. Während der Arbeit sprangen an den Wänden groteske Schatten entlang, im Takt der tänzelnden Taschenlampen, die sie auf ihre Brust gehängt hatten.
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    "Möchtest du ein Glas Wein?", fragte der Mann, als Resi den Bureschano brachte.
    "Danke, nein. Es ist noch zu früh. Ich habe noch viel Arbeit."
    "Bis wann?"
    "Bis um zwei."
    "O weh! Und jetzt ist es kaum elf."
    "Leider", sagte das Mädchen und goss ihm ein. "Da gehe auf keinen Fall hin!"
    "Wohin?", fragte der Mann.
    "Dorthin", Resi zeigte mit der Hand zur Tür HERREN.
    "Sie ist wieder verstopft. Die Jauche reicht schon bis zu den Knöcheln."
    "Schon wieder?"
    "Ja. Diese verdammte Lasterhöhle. Im Oktober werde ich diesen Miststall verlassen."
    "Und was machst du dann?"
    "Ich werde Kassiererin in einem Blumenladen."
    "Ob es da besser sein wird?"
    Das Mädchen zuckte nur leicht mit den Achseln.
    "Resi, Goldblume!", tönte es vom Ende der Gaststube.
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    "Wir müssten den Schacht bedecken", sagte der Mann mit dem Lederhut.
    "Zu zweit?", fragte der andere. "Als wir ihn abhoben, waren wir zu viert, und selbst da konnten wir diesen verfluchten Betondeckel kaum bewegen."
    Sie standen ratlos. Der mit dem Lederhut richtete das Licht nach unten in den Schacht. In einer Tiefe von acht Metern lagen riesige Eisenträger verstreut. Einige Rohre, von denen man gerade die massiven Verschlüsse entfernt hatte, ragten spitz nach oben. Auf dem Grund des Schachtes vibrierte das Wasser, launische Lichter auf den schimmelbefleckten senkrechten Wänden widerspiegelnd.
    "Als ob es eine Elefantenfalle wäre", sagte der Mann mit dem Lederhut und spuckte in die Tiefe.
    "Hör mir gut zu", sprach der andere. "Wir werden das Tor verschließen und den Schlüssel mitnehmen. Und morgen früh um neun werden wir zuerst da sein. Bis dahin kann keiner hier heran. Lassen wir also ruhig den Schacht offen."
    "Na und das?", sagte der mit dem Lederhut, wobei er auf die Tür über den sieben Stufen zeigte. Ein schmaler Lichtstreifen drang unter ihr nach außen.
    "Sie ist immer verschlossen", behauptete der andere, doch seine Stimme klang nicht fest.
    Man müsste die Tür über den sieben Stufen ausprobieren, dachte er, aber, um die unterste der sieben Stufen zu erreichen, müsste er über den gähnenden Schlund des Schachtes springen, und das ist schon bei Tageslicht ein schwieriges Unterfangen.
    "Sie ist immer zu", wiederholte er. "Aber den Chef werden wir auf jeden Fall zur Vorsicht mahnen", fügte er dann noch, sich beruhigend, hinzu.
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    Der Mann trank bereits das zweite Glas. Resi ist heute schlecht gelaunt, dachte er. Doch hinterher akzeptiert sie sicherlich einige Gläschen und wird lustiger. Dass sie nicht gerade schön ist? Nun, wenn das Licht aus ist, sind alle Frauen schön.
    Als sei es völlig gleichgültig, was er tut, stand er auf und ging los zur Tür HERREN.
    Als seine Hand schon auf der Klinke lag, erinnerte er sich plötzlich wieder daran, was das Mädchen gesagt hatte: 'Die Jauche reicht schon bis zu den Knöcheln.' Macht nichts. Ich werde auf die Straße gehen, dachte er und lief los zum Ausgang,
    Draußen kam gerade ein Autobus an. Normalerweise wartet er hier, bis der andere Bus ankommt. Jetzt ist es unmöglich dort hinauszugelangen. Macht nichts, ich werde auf den Hof gehen, dachte er. Aber er ging nicht gleich. Er blickte nach draußen durch die Glasscheibe, auf der die Regentropfen nach unten um die Wette liefen. Der Scheinwerfer des Busses und das heitere Licht, das aus den Fenstern kam, erleuchtete festlich den kleinen Platz, der eine unwirkliche, märchenhafte Freundlichkeit ausströmte und sich an den Rändern in den scharf umrissenen Schatten verlor.
    "Der Bus ist gekommen", rief jemand in der Gaststätte, freudestrahlend. "Kommt alle! Sehen wir nach, wer angekommen ist."
    Fast alle drängten sich zum Ausgang.
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    Der Mann mit dem Lederhut machte sich schon am Schloss des Tores zu schaffen. Er probierte noch einmal die Klinke, damit er seiner Sache sicher sei.
    "Wir müssen unbedingt den Chef warnen", wiederholte er.
    "Natürlich! Natürlich!", antwortete der andere und hob die Augen zum Himmel.
    "Es regnet unaufhörlich! Hol's der Teufel!"
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    Dem Mann wurde es langweilig hinauszustarren. Er ging los zur Hoftür. Als er sie öffnete, schlug ihm die frische, feuchte Luft angenehm ins Gesicht. Lautlos zog er die Tür hinter sich zu, einen Augenblick lang genoss er die lautlose Dunkelheit. Danach sah er nach oben zum Himmel. Ein Stern zeigte sich nirgends.
    "Es regnet unaufhörlich! Hol's der Teufel", sagte er halblaut, und er begann auf den sieben Stufen nach unten zu gehen.