Ein Weihnachtsgruß

     Hörspiel

Alle singen zusammen ein Weihnachtslied, das immer leiser wird, während der Sprecher die Personen vorstellt.

SPRECHER: Es spielen: Mama, ungefähr sechzig, energisch aber bigott. Bea, ihre Tochter, ungefähr zwanzig. Denis, auch Dudusch genannt, der dreißigjährige angetrunkene Sohn.

Theodor, der zweite Sohn, mit nervöser, zittriger Stimme.

(Der Gesang wird wieder lauter, endet.) Danach:

MEHRERE: (gleichzeitig, wirr durcheinander)... wie wunderschön... danke, danke... sieh mal an, was! Und passt genau... woher wusstest du, dass gerade das... seit Jahren habe ich mir schon so ein... Ich hatte nie die Möglichkeit, um... wie hast du es also erraten, Theolein? Wenn es erst schneit, werden wir auf den Schneeschuhen wie die Götter gleiten...

MAMA: ( mit besonderer Stimme) Ihr Kinder, Ihr Lieben, warum wart Ihr nur so verschwenderisch, das musstet Ihr nicht. Das hat ja unheimlich viel Geld gekostet. Dudusch, lösch die Kerzen aus, sie brennen sonst die Zweige an, und wenn es geht, dann werfe bitte nicht den Baum um, du hast scheinbar mehr getrunken, als... Passt ein wenig auf, unterdessen brät ja auch das Fleisch weiter, bevor wir essen, könnten wir das Band für Julius bespielen. (Theodor schaltet am Tonband herum, murmelt vor sich hin, lästert Gott. (Ein Summen.)

DENIS: Ich glaube, der Kaffee läuft über.

BEA: Was nun? Nein. Draußen, ein Auto.

MAMA: Also, wir schalten das Tonband ein und alle werden für Julius draufsprechen, als säße er mit uns unterm Weihnachts...

DENIS: Gut. Doch vorher, Schwesterchen, kriegst du von mir ein Küsschen für den wunderschönen Schal. Nun, natürlich nur dann, wenn du mir versprichst, dass du diesen miesen Kerl nicht heiratest, denn, wenn doch, dann sind künftig Händedrücke, brüderliche Küsschen und ähnliche Dinge absolut zu unterlassen. Klar?

BEA: Lasse mich in Ruhe, bitte. Es geht dich einen Dreck an, wen ich zum Mann nehme. (Leise:) Im Ernst, Denis, wir sollten versuchen, uns wenigstens an diesem Abend gegenseitig zu tolerieren. Wegen Mama, sauf lieber, wenn es denn sein muss.

MAMA: Achtung! (Sie klatscht in die Hände.) Theolein, du kannst es einschalten... Ach, ja, ich habe es vergessen zu sagen, es muss nicht unbedingt erwähnt werden, dass Theodor sich scheiden lässt, oder ähnliche Dinge...

THEODOR: (beinahe ironisch) Natürlich nicht! Weil das eine ziemlich peinliche Sache ist.

MAMA: Na, Söhnchen, wenn du meine Meinung hören willst, das ist sogar sehr peinlich. Es ist sehr schade und nicht sehr beglückend für mich...

THEODOR: Aber Mama, auch ich sage das ja. Genau das. Es ist absolut peinlich. Total peinlich. Wer wollte mit dir darüber streiten, liebe Mama? Und wer bestünde schon darauf, es überall herausposaunen zu wollen?

MAMA: Schalte ein, Söhnchen. (Nach dem Einschalten) Lieber Julius, mein süßer lieber Junge...

DENIS: (unterbricht) Na, Ihr seid nur Idioten. Ich warte totsterbensdurstig auf den Kaffee wie auf die Geburt des Heilandes und Ihr habt den Stecker nicht reingesteckt. Esel!

MAMA: Willst du bitte deine Worte wählen. Ich selbst habe vergessen die Kaffeemaschine anzuschließen. Ich lehne es ab mir so einen unverschämten Ton weiter anzuhören.

BEA: Lasse ihn Mama. Sicher war es auf mich gemünzt.

MAMA: (spricht wieder auf das Band) Heißgeliebter Julius, mein allerliebstes Büblein, deine Mama spricht. Wir sitzen hier alle zusammen am Weihnachtsbaum, unter dem wunderschön geschmückten Baum, die ganze Familie, nur du fehlst und das bedauernswerte Tantchen Anna, weil sie sich das Bein gebrochen hat. Dienstag wird Emerik zu dir reisen. Er bringt dieses Band mit, mein Büblein. Es ist sehr schmerzlich, dass uns jetzt viele tausend Kilometer trennen und doch habe ich das Gefühl, als wärest du in diesen glücklichen Stunden jetzt unter uns. Bei uns nichts Neues, außer dass Bea heiraten wird, eventuell im Frühling...

BEA: Stop! Das muss nicht sein. Ich mag nicht vorgezeigt werden. Ich bitte darum, auf keinen Fall darüber zu reden.

(Sie spulen das Band zurück.) Jetzt ist die Stimme von

MAMA AUS DEM GERÄT zu hören: ...als wärest du in diesen glücklichen Stunden jetzt unter uns... (Ein Sprung im Band, danach):

MAMA: (nun wieder selbst) Wir alle fühlen uns wohl. Nur das bedauernswerte Tantchen Anni, stell dir vor, brach sich das Bein. Sie fiel auf dem glatten Bürgersteig hin. Furchtbar!

THEODOR: Das hat Mama schon einmal gesagt.

MAMA: Ruhe! Unverschämt bist du, Söhnchen! Halten wir an.

(Nach dem Rückspulen des Bandes)

MAMA AUS DEM GERÄT: Furchtbar!

MAMA: (mit eigener Stimme zum Aufnehmen) Also, hüte dich, gib auf dich Acht, süßer Julius. Ich spreche nicht weiter, sondern übergebe das Wort der Reihe nach an die anderen, am Ende werden wir etwas aus der Heiligen Schrift lesen. (Ausschalten)

Bea, komm, fahre fort.

BEA: Muss ich unbedingt...

MAMA: Hier geht es nicht um eine Pflicht, sondern darum, was sich schickt.

BEA: Du weißt doch genau, Mama, dass Julius und ich...

MAMA: Liebes Töchterchen, sag nicht solche Eseleien. Nur ein paar Worte, einige freundliche Worte zum Fest der Liebe, jawohl, das muss unbedingt sein.

BEA: (schaltet ein) Also, Julius, tschau! Erstens, ich bin Bea. Ich will sagen, weil Weihnachten ist... darum, wie soll ich sagen, sei nicht wütend, weil ich damals nicht mit zum Flughafen gegangen bin. Damals habe ich dich verabscheut. Das spielt aber jetzt keine Rolle mehr und wenn du genauso denkst, sollten wir das Ganze vergessen. Hol's der Geier. Tschau! Ich überge... an wen soll ich übergeben? (Ausschalten)

MAMA: Denis ist dran. Dudusch! Wo steckst du? Töchterchen, Liebes, geh und rufe ihn. Sicher sucht er die Küche nach Wein ab. Theolein, fahr du unterdessen fort.

THEODOR: (schaltet ein) Sssst, Julius! Ich bin Theodor. Wir sind alle hier. Wir sitzen zusammen. Nur du fehlst und Tantchen Anni, weil sie sich das Bein gebrochen hat.

DENIS: (kommt unterdessen zurück, flüsternd) Tore drei zu null, für Tantchen Anni.

THEODOR: Wir spüren dein Fehlen sehr, Julius, komm möglichst bald nach Hause. Und beende nur erfolgreich deine Arbeit. Und schreib auch. Wir küssen dich. (Ausschalten) Wer ist dran?

MAMA: Denis, sag mal, schämst du dich nicht, Söhnchen. Du bist kaum fähig auf den Beinen zu stehen. Stellt ihm dieses... mehr in die Nähe...

DENIS: (schaltet ein) Also, tschau, alter Knabe, hier spricht Denis, oder Dudusch. Das Unerwünschte ist wegzustreichen, hi-hi, das war ein Witz. Wie fühlst du dich dort in der Fremde? Bei uns steht es so lala in der alten Heimat. Wir feiern das Weihnachtsfest in Ruhe, aber der Wein ist leider schon alle. Warum das verheimlichen?

MAMA: (leicht erzürnt) Aber Denis!

DENIS: Also, um es kurz zu machen; wir haben ihn schon ausgetrunken. Lindenblättrigen aus Debrö. Na, nur so viel wollte ich sagen. Wir grüßen dich liebevoll, wünschen auch dir einen Weihnachtsbaum bis an die Decke und alles. Ja, jetzt kommt mir in den Sinn, gibt es denn bei euch überhaupt einen Tannenbaum? Dort gibt es doch nur Palmen und ähnliches Mistzeug. Na egal... Jetzt denke ich auf einmal daran, dass Ihr jenseits des Äquators Juli habt, oder nicht? Richtiger, Dezember, aber Sommer. Grotesk, nicht wahr? Das muss seltsam...

MAMA: Schon gut, schwatze nicht so viel. Wir wollen noch aus der Heiligen Schrift...

DENIS: Gut. Na, es gibt nicht viel Neues. Nur so viel, stell dir vor, unser armes Tantchen Anni hat sich das Bein gebrochen. Furchtbar, nicht? Knacks, und da war es gebrochen...

MAMA: Denis! Genug geblödelt! Das Mikrofon zu mir! (Schaltet ein) Julius, Liebling. Deine Mama spricht wieder, nur um zu sagen, dass wir uns alle wegen dir beunruhigen, nimm dich in Acht, Söhnchen. Wenn du das Klima nicht gut verträgst, dann bitte lieber um deine vorzeitige Rückkehr. Denn glaub mir, nichts ist so wichtig wie die Gesundheit. Sei nicht wütend über diesen schafsköpfigen Denis. Sie sind jetzt alle gespannt auf das Fest und freuen sich einer über den anderen. Sei nicht wütend, liebes Büblein. Wir warten noch auf Lieschen und ihren großen Sohn. Sie kommen bestimmt...

THEODOR: (unterbricht) Warum sagst du das, Mama? Du weißt doch, dass sie nicht kommen werden.

DENIS: Der Kaffe kocht! Der Kaffee kocht!

BEA: Gott der Herr! Wer war der Elende, der die Kaffeemaschine anmachte und die Kanne nicht darunterstellte. Seht doch, das ganze Zimmer schwimmt!

MAMA: Denis. O weh, Söhnchen. Was sollen wir mit dem Teppich machen? Lauf, hole einen Wischlappen. Wisch es weg, eins, zwei, drei! Töchterchen, du kochst einen neuen Kaffee. Schweine seid Ihr, wirklich.

DENIS: Ich sterbe hier ohne Kaffee und dann soll ich noch...

BEA: Mama, lassen wir Lieschen. Der Kuckuck soll sie holen. Sie werden die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen, sie und Julius, so eine Sache kann man nicht aufzwingen.

MAMA: Seltsam seid Ihr. Zwinge ich etwas auf? Ich wünschte nur... wirklich, seltsam seid Ihr...

THEODOR: Ich schalte ein Mama, sprich weiter. Aber über Lieschen flechte nichts mehr ein.

MAMA: Wie sollte ich denn nichts mehr einflechten? Bitte, wähle deine Ausdrücke.

THEODOR: Gut, in Ordnung. Ich schalte ein.

MAMA: Also, nun hören wir gemeinsam die Schrift, als wenn wir alle zusammen wären. Du bist nun der älteste Mann in der Familie. Du müsstest aus der Schrift lesen. Doch, weil du nicht unter uns sein kannst, wird dich Denis ersetzen. (Ausschalten) Komm, Dudusch. Wo ist der Text? Sucht den Text für ihn heraus.

DENIS: (liest unsicher, mit Unterbrechungen) Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde... da in Cyrini... Cyrenius Landpfleger in Syrenien, Syrien war, was denn nun, ich verstehe das nicht.

MAMA: Stop! Stop! Schäme dich, Söhnchen! Theodor, lies du!

DENIS: Mama, die Buchstaben sind so winzig, ja wirklich. Nicht, weil ich gesoffen habe, wo ist die andere Bibel? Die mit den Illustrationen, mit dem Bild über Josef und die Putifar-Gattin. Die ist gut, doch wo ist sie? Diese Kerle haben sie an ein Antiquariat verkauft...

MAMA: Von dir habe ich genug, mein Söhnchen. Lies du weiter, Theodor.

THEODOR: (unwillig, gereizt) Und sie gebar ihren ersten Sohn, windelte ihn und legte ihn in die Krippe... (Ausschalten) Mama, das ist alles sehr anstrengend für mich. Gestatte, dass ich diesen Zirkus jetzt nicht... davon habe ich heute schon genug. So ungefähr habe ich mir dieses ganze Weihnachtsfest vorgestellt, wie den Buckel auf den Rücken. Heute habe ich gearbeitet. Morgen habe ich Dienst. Und jetzt muss ich noch dieses verfaulte Tonband zurückbringen... Wir sollten schnell etwas essen. Danach verschwinde ich von der Bildfläche. Lassen wir das mit der Schrift.

MAMA: Theolein, Theolein! (Schweigen, Bandwickeln)

THEODOR: (apathisch) Und der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkündige heute eine gute Nachricht, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sagten: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

DENIS: Punkt. So viel das Ganze!

MAMA: Und nun singen wir, meine Kinder!

Alle singen gemeinsam ein Weihnachtslied. Dann:

DENIS: Na also, unterdessen ist auch der Kaffee fertig. Nun soll möge jmand von denen, die noch nüchtern sind, den Stecker herausziehen, da sonst der Gummi anbrennt und es dann noch schlechter riecht. Kinder, bis wann ist die Kneipe auf? Wie heißt die doch gleich? Die an der Straßenecke.

MAMA: Auf deinem Hintern geblieben! Schäme dich! Du gehst nirgendwohin.

DENIS: Gut. Ich wollte nur für alle hier etwas holen. Warum machst du gleich so ein Geschrei?

MAMA: Solche Sachen am Heiligen Abend zu machen! Ihr seid wirklich taktlos, ja taktlos! Julius hätte mir das nie angetan. Er niemals!

THEODOR: Lassen wir das jetzt, was Julius getan hätte und was nicht. Es ist spät. Wollt ihr es noch mal hören? (Bandwickeln)

MAMA: Also, taktlos war er niemals zu mir. Niemals hat er mich beleidigt wie Ihr. Zynisch? Nein, das war er auf keinen Fall.

Der aufgenommene Text ist zu vernehmen, doch das Tonbandgerät funktioniert nicht richtig. Offenbar, weil beim Aufnehmen das Band immer wieder angehalten wurde. Ein großer Teil des Aufgenommenen fehlt, oder man hört statt des Textes nur ein Fiepen und Zischen.

TONBAND: Heißgeliebter Julius, mein Junge, deine Mama spricht, wir sitzen hier alle... (Fiepen)... wunderschön geschmückter Baum (Fiepen)... bedauernswertes Tantchen Anni, die sich das Bein gebrochen hat (Zischen)... viele tausend Kilometer... (Fiepen)... Na ja, Julius, also tschau! Wie fühlst du dich... (Fiepen)... ich bin Bea... (Zischen)... damals habe ich dich verabscheut... Hol's der Geier... Ssssst, Julius. Ich bin Theodor... wir sind alle zusammen... Tantchen Anni hat sich das Bein gebrochen... dein Fehlen... beende nur erfolgreich... küssen... tschau, alter Knabe... Dudusch... hi-hi... ein Witz... wie fühlst du dich... so lala... der Wein ist leider schon alle... und warum das verheimlichen?... wünschen auch dir... bis an die Decke... fällt mir ein... Mistzeug... Juli... Dezember... Sommer... stell dir vor, das arme Tantchen Anni hat sich das Bein gebrochen... Julius, mein Lieber. Deine Mama spricht wieder... nimm dich in Acht... das Klima... schafsköpfige... Also, nun hören wir zusammen die Schrift... der älteste... Denis ersetzen... aber zu der Zeit... Cyrini... Cyrenius... Landpfleger in Syrenien, Syrien war, was denn nun, ich verstehe das nicht... stop... und sie gebar ihren ersten Sohn, legte ihn in die Krippe... und der Engel sagte... Fürchtet euch nicht!... eine gute Nachricht... in der Stadt Davids... Ihr werdet finden... das Kind... und in einer Krippe liegen... die Menge... die lobten... und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen... Punkt... So viel das Ganze!

Es folgt der Gesang, aber die Batterien werden offenbar immer schwächer; deshalb ist an Stelle der Melodie nur noch ein Bassgebrumm zu vernehmen, das leiser und leiser wird...

 

ENDE

aus dem Esperanto übersetzt von Hans-Georg Kaiser